Theater, 2008
Aus dem Dialog
Wie jeder junge Mensch stürze ich mich in Arbeit, in Abenteuer und Vergnügen; es scheint mir gleich zu sein, was man unternimmt, sofern es nur mit vollem Einsatz geschieht. Die Moral der Leistung. Sie ist das uns eingeborene Bild, nach dem wir uns richten. Aber je älter man wird, desto deutlicher erfährt man, dass dieses scheinbare Übermass, diese Unabhängigkeit und Beweglichkeit in allem, diese Souveränität der treibenden Teile und der Teilantriebe – sowohl die deiner eigenen gegen dich wie die deine gegen die Welt – kurz, dass alles, was wir als Gegenwartsmenschen für eine Kraft und uns auszeichnende Arteigentümlichkeit gehalten haben, im Grunde nichts ist als eine Schwäche des Ganzen gegenüber seinen Teilen. Mit Leidenschaft und Wille ist dagegen nichts auszurichten. Kaum willst du ganz und mitten in etwas sein, siehst du dich schon wieder an den Rand gespült: das ist heute das Erlebnis in allen Erlebnissen! (aus Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“)
Unter speziellen Bedingungen sind wir der Frage nachgegangen, wie man mit den „Löchern“ der Realität umzugehen hat. Löcher zwischen Erwartung und Tatsache, zwischen Fiktion und Realität. Den Löchern, die aufgerissen vor uns liegen, wenn wir versuchen uns an die leere Moral der Leistung zu binden, oder im Gegensatz dazu unsere wahren Träume zu erfüllen, wenn Schauspieler und Publikum mit gänzlich unterschiedlichen Haltungen aufeinander treffen, wenn die ganze Kultur schnurgerade Geschichten erzählt und dennoch die Vorstellung einer geradlinigen Entwicklung des eigenen Lebens zerbricht, wenn das Erlebnis, in dem man vermeintlich mitten drin steckt, einen an den Rand spült. In einem Textstakkato, das zwischen den Wundern Dublins und den Werken von Marcel Duchamp, zwischen Doppelgängern in einer gesichtslosen Konsumwut und James Joyce Kunstauffasung, zwischen der vermeintlichen Fiktionalität der Bühne und der vermeintlichen Realität des Zuschauerraums hin und her springt, versuchten wir die Angst vor der Wirklichkeit und uns selbst zu überwinden.
Text und Regie: Simon Helbling
Spiel: Juri Elmer, Yannick Schmuki
Musik: Frank Franky Ryan
Newman House, Dublin